Sonntag, 22. März 2020

Das Leben am seidenen Faden





















Das Leben am seidenen Faden

Do sind emòòl zwöi Puuremäitli zäme uf em Acher am Summerfrucht schnyde gsy, wo die Äint vo ine, Bürgi hed si ghäisse, äismòòl en fäisse, schwummige Chrott i de Acherfurre gseet: „Du, Ursi,“ hed sie grüefft, „Iez lueg emòòl de grooss, fäiss Chrott dòò! Söll ich im äis mit de Sichle gèè?“ „Näi, bhüet is Gott, Bürgi“, hed d Ursi grüefft, „lueg nume wie dick und schwummig de isch, gseesch nììd, wie s um de bstellt isch, de chund gly es Chind über und wird öis welle als Gvatterlüt zur Tauffi ylaade.“ Und wie s so schwätzet und iri Späss mached, isch de Chrott wider im Acher verschwunde gsy und die beide Puuremäitli händ sich wider a d Aarbet gmacht.
Es paar Taag spööter sind die beide Mäitli Dihäi i de Chuchi am schaffe gsy, wo uf äinisch e chlyses Mannli vor ine stòòt. En bruune Tschoope heds aaghaa und en Huet mit eme bräite Rand. Es hed sich früntlich verbüügt und ine en Brief ane ghebt. I dem isch gstande, ass si zur Chindstauffi bi de Unterirdische Lüt yglaade sind. Im glyche Momänt hed s Mannli ine gsäit: „ Dòò unter öiem Füürhèèrd isch es Loch, daas wird sich am nööchschte Sunntig uuftue und dur daas müend ihr dure styge,“ und wo s fertig gredet ghaa hed, isch s verschwunde, weiss nììd wohìì.

Die zwöi Mäitli sind scho chly verschrocke, wo si mit dem Brief a ires Verspräche gmaaned worde sind, wo sie im Chrott uf dem Acher gèè händ. Aber alles Jommere hed nüüt gnützt, de Sunntig isch choo, und wo s Zwölfi schlòòt, hed sich e Tüür unter em Füürhèèrd uuftòò. Die beide Mäitli sind dure gstige und sind grad uf de andere Site vo dem bruune Mannli erwaartet woorde. Mit dem sind sie e langi, langi Stääge abegange, immer tüüffer und tüüffer i d Eerde ine, bis sie äntlich uf e helli Wise choo sind. Uf dere sind en huuffe chlyni Hüüsli gstande und jedes Hüüsli isch wie us Glaas gmacht gsy und vo äinere Huuswand zu de andere isch alles durchsichtig gsy und d Liechtli, wo dinn prännt händ, händ sogar zum  Dach uusglüüchtet.

I so n es Hüüsli sind s vo dem Hèèrdmandli ine gfüert worde. Drin isch es bläichs Hèèrdwybli im Bett glääge und dernäbet es nöi geboornigs Zwèèrgechind.
Imene lange Zug vo luter bruune Hèèrdlütli sind die beide Puuremäitli mit dem Chindli voruus in e hell lüüchtigi Kristallchile zoge und händ deet das Zwèèrgechind taufft. Druufabe sind s zum Tauffmööli yglaade worde und all händs Platz gnòò, an en groosse Tisch. Die beide Mäitli aber händ müesse näbet de Zwèèrgemueter sitze, und dòò händ si sich s dänn au rächt guet lo
schmöcke lòò.
Wie si jetzt aber e Wyl so dòòghockt sind, hed  Bürgi zuefällig a d Tili ue glueget und isch nììd wenig verschrocke, graad über ihrem Chopf, isch am e sidige Fade, en Mülistäi bhanget. I äim Satz hed sie welle uuf und devoo ränne, aber d Zwèèrgemueter hed si am Rockzipfel ghebt und hed gsäit: „Muesch e käi Angst haa, s passiert dir nüüt! Aber gseesch iez, wo du mich uf em Acher häsch welle mit diner Sichle tööte, isch mis Läbe au am e sidige Fade bhanget und so bhanget iez au dis Läbe am sidige Fade; aber well du mir mis Läbe glòò häsch, so lòò n ich dir dis Läbe au, und de Mülistäi söll dich nììd tööte.“

Wo jetzt das Tauffässe z Änd gsy isch und sich die zwei Puuremäitli händ welle uf de Häiwèèg
mache, hed sich d Zwèèrgemueter bì ine bedankt, und hed e jedere e Hämpfeli Strau us irem
Strausack zoge und hed ine gròòte, nume rächt Soorg zue dem Gschänk z haa. Druuf sind si vo dem bruune Mannli wieder die prächtig Stääge duruuf i iri Chuchi pròòcht worde.

Wo si aber dobe i de Chuchi sind, nimmt Bürgi ires Hämpfeli Strau, rüert s  is Füür und säit:
„Guet Nacht am Sächsi. Aso wänn die Hèèrdlütli zur Tauffi nüüt besser z schänke wüsset, so chönnt si da Strau au grad phalte.“ D Ursi aber hed, wie s d Zwèèrgemueter ine gròòte hed, ires Strau süüferli i irem Tischtruckli versoorgt.
Wie iez die zwöi drufabe ire schöne Chläider wider abziend, isch de Bürgi äismòòl öppis uf de Chuchibode gheit, und wie si nòòlueget find si uf em Bode es löötigs, luuters Goldstückli. „Das isch gwüss s Strau vo de Zwèèrgemueter“, hed d Ursi gsäit, isch gschnell zu irem Tischtruckli grännt und wo si d Schublaade uufspeert, hed si drininne en groosse Schatz gfunde.
E dèèwèèg isch us dere arme Magd uf äinisch e rychs Mäitli worde, und es hed ghüròòtet und irer Läbtig lang käi Noot me müesse lyde; d Bürgi aber hed chönne am lèère Tuume suuge.

Jürg Steigmeier
Quellen:
Das Leben am seidenen Faden, Deutsche Märchen seit Grimm, Diederichs, Jena 1919
Die Erdleute bei Oberhof, Schweizersagen aus dem Aargau, Edition Olms, E. L. Rochholz S. 268




Das Leben am seidenen Faden

Zwei Schnittermädchen waren in der Ernte zusammen in den Feldern. Plötzlich schrie das eine: Ursi (Ursula), schau diese mächtig grosse Kröte! Soll ich ihr eines mit der Sichel geben? Nein, Bürgi (Walburg), rief die andere Schnitterin, bei Leib nicht! Schau nur diese Dicke und Gedunsenheit; merkst du doch selbst, wie es um den Wust da steht, er wird uns zu Gevatter bitten wollen. Inzwischen schien die Kröte weggekrochen zu sein und die beiden Mädchen schnitten weiter.
Eines Tages, nicht lange danach, waren die Mädchen beim Aufwaschen in der Küche, da stand auf einmal ein kleines Männchen bei ihnen, das trug einen braunen Rock und einen Hut mit einer breiten Krempe; es verneigte sich freundlich und gab ihnen einen Gevatterbrief, in welchem sie zur Kindtaufe bei den Unterirdischen eingeladen wurden; zugleich sagte es ihnen, hier unter dem Feuerherde sei eine Öffnung, die würde sich am nächsten Sonntag auftun, da sollten sie nur hinuntersteigen; und als es das gesagt hatte, war es verschwunden. Die beiden Mädchen erschraken nicht wenig, als sie von dem Männchen solcher Art an ihr Versprechen erinnert wurden; da haben sie wieder einmal ihr Maul gebraucht und wussten nicht gegen wen.
So kam denn der Sonntag heran, und als es zwölf schlug, öffnete sich eine Tür unter dem Feuerherd, die beiden Mädchen traten hinein und wurden sogleich von dem braunen Männchen empfangen, mit dem sie eine prächtige breite Treppe hinabstiegen. Endlich gelangten sie auf eine weite helle Wiesen-Ebene, auf der eine ganze Menge überaus zierlicher Häuser stand. Ein jedes schien ganz aus Glas, denn von einer Hauswand zur andern war alles durchsichtig, und die Lichtlein, die drinnen brannten, leuchteten selbst durch das Dach heraus. In ein solches Häuschen führte sie der Begleiter.
Hier lag ein sehr blasses Erdweibchen im Bett und hatte neben sich ein neugeborenes Kind.
Dieses gab man den Bauernmädchen auf den Arm und sie musste es einem langen Zug von lauter Erdmännchen voran auf der Stelle aus dem Haus tragen. Ihr früherer Führer wies sie in eine ebenso glänzend erhellte Kristallkirche hinein, um die Kindstaufe zu halten.
Darauf ging man zum Mahle, und alle nahmen an der reich besetzten Tafel Platz, die beiden Mädchen mussten sich neben die Wöchnerin setzen, und da ließen sie sich`s denn auch recht gut schmecken. Als sie eine Weile so gesessen hatten, schlug die Älteste von ungefähr die Augen auf und bekam einen kleinen Schrecken, als sie gerade über ihrem Kopfe einen Mühlstein an einem seidenen Faden hängen sah. Da sprang sie auf und wollte weglaufen, die Wöchnerin aber hiess sie wieder niedersitzen und sagte: „Fürchte dich nicht, dir soll kein Leid geschehen! Sieh, als du mich neulich im Feld mit der Sichel töten wolltest, da hing mein Leben an einem seidenen Faden, und so hängt auch das deine jetzt daran; aber da du mir das Leben gelassen hast, so soll dir jetzt ein gleiches geschehen, und der Mühlstein soll dich nicht töten!“
Als nun das Mahl zu Ende war und die beiden Mädchen von den Unterirdischen Abschied nahmen, zog die Wöchnerin eine handvoll Strohhalme aus ihrem Strohsacke heraus, und bot sie ihren neuen Gevatterinnen zum Andenken und sagte, die sollten sie sorgsam bewahren. Darauf gingen sie, und das braune Männchen brachte sie dieselbe prächtige Treppe wieder hinauf, auf der sie hinabgestiegen waren.
Als sie aber oben in der Küche waren, warf die Älteste sogleich die empfangenen Strohhalme ins Feuer, indem sie sagte: „Wenn mir die Unterirdischen kein besseres Andenken von ihrer Kindtaufe geben wollen, so hätten sie`s nur gleich behalten sollen!“ Die andere erwiderte: „Sie haben uns doch gesagt, wir sollen sie bewahren; wer weiss wozu es gut ist“, ging zu ihrer Lade und schüttete dort das Stroh aus.
Als beide darauf ihren Kindstaufsputz ablegten, fiel auf einmal der Ältesten etwas klingend zur Erde; sie sah zu und fand ein blankes Goldstück. „Das sind die Strohhalme“, sagte die Jüngste, ging schnell zu ihrer Lade und fand einen grossen Schatz; da war auf einmal aus einer armen Magd ein reiches Mädchen geworden, und hat gefreit und ihr Leben lang keine Not gehabt; die Älteste aber hat es nie zu etwas Rechtem bringen können und musste von dem leben, was ihre Schwester ihr zukommen liess.

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