Mittwoch, 18. März 2020

„Bohne, Bohne, ich schneide dich!“


Während wir zu Hause sitzen und Corona unsere Welt neu ordnet, werde ich hier jeden Tag ein Märchen posten. Lest es einander vor, entdeckt meine Schweizer Märchen neu und habt Spass

„Boone, Boone, ich schneide dich!“

Drüü Brüedere, Chind vo aarme Lüüt, sind äismòòl i d Frömdi zoge, ires Broot go verdiene. Wie si in Wald
chömmet, heds do drüüerlei Wèèg ghaa. Dòò sind di zwöi ältere Brüeder Richtig Norde, de Jüngscht aber isch Richtig Oschte zoge. Zeerscht händs aber drüü Chrütz in-en Äichebaum gschnìtte und si händ sich hooch und häilig versproche, si wellet sich übers Jòòr dòò a dem Fläck wider träffe.
De Jüngscht vo dene Brüedere chonnt immer tüüfer in Wald und chonnt zo-n-ere Hütte, wo-n en alti Frau
drinn wont. Die fròògt er, ob si Aarbet für in hed, und wo si Jòò säit, isch er plibe. Sini Aarbet aber isch die gsy, ass er all Taag zwöi graui Chatze und zwöi wyssi Änte hed müesse fuettere.
Wo do da Jòòr ume gsy isch, chonnt dem Pùùrscht da Verspräche wider in Sinn und er hed vo der Alte de
Loon ghöische. Die gìt im e Boone und loot ne lo gòò. Dem Jüngling schynt da gar en grìnge Loon, aber
er hed nììd welle chlaage und isch lustig devoo gange. Underwèègs aber überchonnt in äismòòl e Luscht, die Boone zverschnyde, und er will sich scho draa mache und säit: „Boone, Boone ich schnyde di!“ wo d
Boone gar jömmerlig hed aafòò bättle: „Liebe Bueb, schnyt mi nììd, i will der gèè, was du wotsch.“
Das hed sich de Pùùrscht nììd zwöi Mòòl lo sääge loo und er wünscht sich „ e Tischtuech, und druff die bescht Choscht“. Und chuum hed er-s ghäisse, stòòt dòò en Tisch, drufobe es Tischtuech und uf em Tischtuech di bescht Choscht wo mer sich cha tänke: Hamme, Gröikts, Büntnerfläisch, Rys, Cheschtene und vor allem aber schöön i Fläsche abgfüllt: süffige roote Veltliner. Zfride, wie en König, isch de Pùùrscht a di uusgmachti Stell choo, wo die beede andere Brüedere scho uf in gwaartet händ. Die händ i de Frömdi en schööne Batze Gäld verdient und händ iez em Jüngschte nòògfròòget was er häibringt. Dèè zäigt sini Boone, und me cha sich tänke, wie di andere werdet gspottet haa über de schmaal Loon. Do säit de Jüngschti: „Tischlein, deck dich“, und da Tischli füllt sich mit Spys, ass es unter dere Lascht fascht hed welle breche. Das hed de Brüedere gar guet welle gfalle, und si ässet und trinket au devoo, händ aber glychwool gmäint, ass mer mit Ässe und Trinke eläi nììd chönn läbe. Do säit de Pùùrscht zu sinere Boone: „Boone, Boone, ich schnyde di.“ D Boone aber fangt wider gar jömmerlig a bättle: „Liebe Bueb, schnyt mi nììd, i will der gèè, was du wotsch.“ Und de Pùùrscht wüntscht sich „en Esel wo cha Gold schisse“. Do händ iez sini Brüedere ires Glück a dere Boone au welle probiere, aber s hed alles nüüt gholfe, die Boone säit nüüt und isch stumm blibe.
Do händs Fride gmacht mit em Jüngschte und gönd allsammt mit Tischtuech und Esel zäme häi zu irne aarme, alte Eltere und sind rychi Lüüt gsy.
Bearbeitet und übersetzt Jürg Steigmeier
Quellen
Die drei Wide, Rätoromanische Märchen aus der Surselva. Caspar Decurtins / Ursula Brunold-Bigler 2002
18. Bohne ! Bohne ! Ich schneide dich entzwei ! (Fav! Fav! Jeu tei tatagl!) Erstabdruck: BOEHMER, 109; Dec. II, 29; Jecklin I, 115f. (erzählt in Dardin bei Brigels); Uffer, Rätoro. Märchen Nr.2
Aath 563: Tischleindeckdich; vergl. Grimm/Uther KHM 36: Tischleindeckdich Goldesel und Knüppel aus dem Sack.

„Bohne, Bohne, ich schneide dich!“

Drei Brüder, armer Leute Kinder, gingen in die Fremde, um sich ihr Brot zu verdienen. Als sie in einen Wald kamen, wo sich drei Wege schieden, da gingen die zwei älteren Brüder gen Norden, der jüngste aber gen Osten. Vorher hatten sie drei Kreuze in eine Eiche geschnitten und sich gelobt, nach Jahresfrist wieder am nämlichen Orte zusammenzukommen.
Der jüngste der Brüder kam immer tiefer in den Wald und kam zu einer Hütte, wo eine alte Frau war. Diese frug er, ob sie nicht Arbeit für ihn habe, und als diese es bejahte, blieb er. Seine Arbeit bestand aber darin, dass er zwei graue Katzen und zwei weisse Enten zu füttern hatte.
Als das Jahr herum war, erinnerte sich der Jüngling seines Versprechens und verlangte von der alten Frau seinen Lohn. Diese gab ihm eine Bohne und entliess ihn. Dem Jüngling dünkte die Gabe wohl gering, aber er murrte nicht und ging vergnügt von dannen. Auf dem Wege überkam ihn einmal die Lust, die Bohne zu zerschneiden, und schon wollte er sein Vorhaben mit den Worten ausführen: „Bohne, Bohne, ich schneide dich“, als die Bohne gar rührend zu bitten anfing: „Lieber Knabe, schneid mich nicht, ich will tun, was du verlangst.“
Das liess sich der Knabe nicht zweimal sagen und wünschte sich ein Tischtuch, das die besten Speisen hervorbringe. Und kaum gesagt, so war es auch getan. Ein Tisch stund vor ihm, darüber gebreitet ein Tischtuch und darauf die besten Speisen: Schinken, gedörrtes Fleisch, Rahm, Reis, Kastanien, vor allem aber in geschliffenen Flaschen der rote Veltliner.
Zufrieden, wie ein König, kam der Jüngling an den verabredeten Ort, wo die anderen Brüder schon seiner harrten. Diese hatten sich in der Fremde ein schönes Stück Geld verdient und frugen nun den Jüngsten, was er nach Hause bringe. Dieser zeigte seine Bohne, worüber die Brüder ein unmässiges Gelächter anhuben. Da sprach aber der Jüngling: „Tischlein, deck dich“, und das Tischlein deckte sich, dass es sich unter der Last der Speisen und Getränke bog.
Das Experiment gefiel den Brüdern gar wohl, und sie assen und tranken weidlich, meinten aber, dass man mit Essen und Trinken allein nicht leben könne. Da sagte der Bursche zu seiner Bohne: „Bohne, Bohne, ich schneide dich.“ Die Bohne aber bat wieder gar rührend und versprach zu tun, was er verlange. Und der Knabe wünschte sich einen Esel, der Gold von sich gebe. Und was er gewünscht, das war im Nu geschehen.
Das erregte der Brüder Neid; sie wollten auch ihr Glück bei der Bohne versuchen und sagten das Sprüchlein her; aber es half ihnen nichts, die Bohne blieb stumm. Da schlossen sie mit dem jüngsten Frieden und gingen mit Tischtuch und Esel zusammen nach Hause zu den armen, alten Eltern und wurden reiche Leute.
Die drei Wide, Rätoromanische Märchen aus der Surselva.
Caspar Decurtins / Ursula Brunold-Bigler 2002
18. Bohne ! Bohne ! Ich schneide dich entzwei ! (Fav! Fav! Jeu tei tatagl!) Erstabdruck: BOEHMER, 109; Dec. II, 29; JECKLIN I, 115f. (erzählt in Dardin bei Brigels); Uffer, Rätoro. Märchen Nr.2
Aath 563: Tischleindeckdich; vergl. Grimm/Uther KHM 36: Tischleindeckdich Goldesel und Knüppel aus dem Sack.
Lit.: EM II, 587 (Bohne als Strukturelement vor allem in französischen und italienischen Varianten).

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