Donnerstag, 2. April 2020

S`Äinzig Töchterli


S`Äinzig Töchterli

`S ìsch äinisch en ryche Maa gsy, und das isch en Chönig gsy. Dèè hed scho sibe Söön ghaa, allseme Prinze, und no käi äinzigi Tochter. Das hed im nììd welle gfalle, und er hed mängisch Kalender gmacht und g studiert, was er ächt au müess aastelle, ass er äntli äinisch au es Töchterli über bechömm.
Wo d Chönigin druuf wider äinisch i de Hoffnig gsy isch, und en dicke Buuch ghaa hed, hed drum de Chönig gschwòòre: „Ich schwöör, wänn s dèèmòòl es Mäitli wird, so gib i all mini Buebe defüür here, all sibe Prinze müend stèèrbe.“
De schlimm Schwur isch au der Chönigin z`Oore choo und hed ire schreckliche Chummer gmacht - chönd ihr öi jo tänke – und wo d` Zit bald nòò gsy isch, ass das Buschi gebòòre worde-n isch, hed si häimlich iri Söön versammlet und hed ine verzellt, wie schlimm ass es um si stöch, aber si well ine hälfe: „Loset Buebe,“ hed si gsäit, „gönd iez abe vor `s Schloss und verstecket öi i de Stuude, ass öi niemer gseet. Und wänn `s dänn en Bueb gìt, so will i öi e rooti Faane under s Fäischter stecke; gìt `s aber e Prinzessin, so söll öi e schwaarzi Faane am glyche-n Oort s Zäiche sy, ass ihr sellet flüchte, so wit as öi d` Füess trèèget.“
Die Prinze händ gmacht wie ghäisse und zu irem Schreck isch do en schwaarzi Faane im Schlossfäischter uuftaucht. Do händ die sibe Prinze Abschied gnòò, und gönd wit, wit furt vo Dihäi und i d Frömdi, wie `s d` Mueter ine befole hed.
Nach ere müeseelige Wanderfaart, chömed si hungrig und dräckig wie aarmi Handwerks Pùùrschte d Bèèrg. Und findet am Fuess vom ne Felse es niders hölzigs Töörli und obedraa es Hämmerli, und dernäbe isch gschrìbe gsy:

A s Töörli drüümòòl schlòò,
S` wird sicher bald uuf gòò!

Si chlopfed aa und s Töörli hed sich speerangelwit uuftòò. D Prinze gönd ine und chömed in en lange feistere Gang, und si gönd und gönd und chömed immer tüüfer und tüüfer in Bèèrg ine. Und am Änd chöme si in en wunderschööne häitere Saal vomene Zauberschloss. Z mitts i dem Saal isch en deckte Tisch gstande, gfüllt mit de beschte Spys und die halbverhungerete Prinze stönd dòò und guenet nach dere Pracht und dörfet doch nüüt nèè devoo, will si frömd gsy sind i dem Schloss.
Uf äimòòl aber stòòt wie us em nüüt es chlys Mannli vor ine und säit: „Mini liebe Herre sind nììd so schüüch, die Sache sind grad für öi grüschtet und paraad, sitzet ane und griffet zue. Und wänn ir mir nur no wänd en groosse Gfalle erwyse, so lönd nur das Füür nie lösche, wo deet a der Wand im Chämi eewig wird müesse bränne; suscht, wänn ir s lönd lo verlösche, so sind ir und ich unglücklich und arm draa.“ Druuf isch das Mannli wider verschwunde.
D Prinze aber händ vo deet aa uf das Füür uufpasst; äine hed immer müesse bim Füür blybe und wach haa, und die andere händ in de Räie nòò abglööst. Die Sächs von ine wo Pause ghaa händ, händ dänn amigs gspilt und gschlòòffe, ggässe und trunke oder au gar nüüt tòò – so Künscht cha en Prinz alli.
Aber mit der Zit hed ine die Verzauberig doch aafòò lästig werde, und si wèèret gèèrn wider i de Welt überobe gsy, wo` s Kumediantelüt git und Rösslispiel, Jägereie und andere Chùùrzwyl. Do händ si zrugg tänkt, worum ass si iez au so müesse eläi do ypschlosse sy und immer müend Holz a s Füür ane tue, und d` Antwort isch gsy, äinzig und eläi es Mäitli sei Tschuld draa; daas heb ne die Stör aagräiset. Do händ si d` Füüscht gmacht im Hosesack und händ gschwòòre, wänn s je sött passiere, ass e sones Mäitli zu ine abechömm, so welle si s tööte.
Dihäi im Chönigsschloss isch das äinzig Töchterli notsno zunere liebenswürdige junge Frau uufgwachse und do hed s vo siner Mueter vernòò, ass es sibe Brüedere hed, wo wegen ihm in d Verbannig händ müesse.
Vo do aa hed s kä Rue mee ghaa und äis schööns Taag fassts de Entschluss, es well si go sueche, und wänn` s laufe müess bis ans Änd vo der Wält. Z`Nacht am Zwölfi hed si häimlich chönne us em Schloss vertwütsche und räist i d`Wält use und chund nach ere müeseelige Wanderschaft äntli au a das Felsetöörli. Es list wa do gschribe stòòt:

A s Töörli drüümòòl schlòò,
S` wird sicher bald uuf gòò!

und uf die glych Art, wie sini Brüeder, isch es do au i de Zauberpalast ine choo. Gseet au die schööne Sache uf dem prächtige Tisch stòò und will de Hunger nììd chly gsy isch, so grifft s zue, nimmt aber vo jedem vo dene sibe Teller nume öppis Wenigs, ass Niemer nüüt merkt. Wo s iez aber wider use will, hed s der Wèèg nümme gfunde. Do hed sich das Mäitli i siner Angscht versteckt, so guet als es ebe gange n isch.
Wo d Prinze verwached sind und wänd ässe, do gsänd si ass bi jedem Teller öppis wenigs gschmarotzet worde isch. Was isch do z mache gsy? Si händ gstudiert, das und dises, und am Änd hed äine gsäit; dèè wo s eewig Füür bewachi, söll au uf de Tisch uufpasse. Und so händ si s gmacht. Der Nööchst wo druuf a de Räie gsy isch, hed uufpasst wie en Heftlimacher, und gseet richtig die schöön Prinzessin zum Tisch gòò. Er nimmt all sin Muet zäme, gòòt zu ire ane und säit: „Liebs Fräulein, s tuet mer läid, aber ich muess Öi das sääge; mer sind die und die und mit händ gschwòòre ass mir jedes Mäitli töötet wo sich i die Hööli verlaufft," und er hed ire die ganzi Gschicht nomòòl verzellt, wo n ihr jo scho känned, und zum Schluss hed er gsäit: „machet lieber ass ir furt chömmet, do sind ir nììd sicher!“
Do hed sich das Mäitli z erchänne gèè, isch em d Prinzässin um de Hals gfalle, hed briegget vor Fröid, und hed gsäit, ebe zum iri Brüedere go sueche sei si us em Schloss devoo gange. Was mäinet ihr, wa dèè wird für es Gsicht gmacht haa, wo n er das ghöört?
Gschnell hed er das Mäiteli imene Egge hinde versteckt. Dänn isch er tiffig zu sine Brüedere gange und hed gsäit: „Ihr chönd öi fröie, ich ha das Büseli gfange, wo vo öisne Tellerli gschläcket hed! Wänn ihr mir schwööred, ass ihr im nüüt z Läid tüend, will ich s öi zäige.“
Und wo si`s verspròche händ, hed er si zu irer Schwöschter pròòcht und ir chönd öi tänke, wie s Fröid werdet ghaa haa.
Aber zum Zauberbèèrg uus händs wäge dem glych nümm chönne, dänn wèèr dinn isch blybt dinn. S Mäitli aber hed vo dòò aa irne Brüedere gholfe der Räihe noo das eewig Füür bewache.

Äimòòl wo d Räie au wider a ire gsy isch und si zmittst i der Nacht bi irem Füür gsässe-n isch
und Holz is Füür tuet, chonnt en grüüslige Drache dur s Chämi abe, nimmt iri Hand und suuget dem Mäitli so vil Bluet us em Zäigfinger bis ire ganz sturm gsy isch und isch dänn wider verschwunde.
Am Morge händ die Prinze scho gmerkt wie schwach iri Schwöschter isch und si händ si gfròògt was ire fèèlt. Aber s Mäitli hed sich nììd getraut vo dem schuderhaft eklige Bsuech zum verzelle.
Wo si s nööchschte Mòòl a de Räie gsy isch zum s Füür bewacht, chonnt wider de Drache und suuget ire s`Bluet us em  Mittelfinger, bis si tootebläich wird und in Ohnmacht gfalle n isch.
So händ si d Prinze am Morge oomächtig und halbtoot uf em Bode gfunde. Und do hed ine s Mäitli verzellt, wer do i der Nacht bi ire gsy isch und was si grüüsligs erlebt hed.
Iezt händ d Brüedere under enander uusgmacht, si welled de Schwöschter hälfe und probiere de Drache z tööte. Und das isch doch en sehr en muetige Plaan gsy.
I der dritte Nacht also, wo de Drach wider zum Chämi ab chonnt und rabauzisch befilt: „Gib mer d Hand use!“ do hed das Mäitli aafòò jommere: „O i cha s nümme und mag s nümme, chomm du zue mer abe!“ De Drach chonnt würkli abe und will das Mäitli am Goldfinger packe.
Aber d Prinze sind us irem Versteck füre choo, und händ de Drache i hundert Stückli verhaue.
Chuum aber, ass de Drach toot gsy isch, isch das chlyne Mannli wider do gsy. Das isch nämli vor langer Zit vo dem Drach i de Zauberpalast ine verbannet worde, zum das eewig Füür z bewache, und das Mannli hed gsäit: „Chinder, ir händ mich erlööst und öi grad mit dezue; Nämed zum Dank vo mine Schätz was jedem vo öi am beschte gfallt, nämeds, bhaltets und händ Sorg derzue.“ Und im glychen Augeblick hed s Bluet vom töötete Drache das eewig Füür uusglösche; en blaue Rauch hed de Zaubersaal erfüllt, d Wänd sind nach allne vier Himmelsrichtige, immer witer und witer usenander gfaare, d Tecki isch in d Hööchi gstige, immer hööcher und hööcher, und nach wenigen Augeblicke händ die verzauberte Chönigschinder über sich wit wit obe de Himmel gsee.
De Tisch mit sine feine Spyse isch bräiter und länger worde vor iren Auge; si händ nümm bis as Änd möge luege und si sind mit sammt em Tisch ue gfaare, ue uf d Eerde.
Und das chlyne Mannli, wo si allsammt zäme erlööst händ, hed si zum väterliche Schloss häi begleitet, unsichtbar natürlich, wie das bi Zwergli so isch.
Iri Eltere aber sind froo gsy, ass alli Chind wider do gsy sind das chönd ihr öi vorstelle.
Jo und soscht isch nachher alls gsy wie in andre Määrli au, schöön und guet händ sis ghaa und all sind's zfride gsy – und es tät mir läid, wänn ihrs nììd au wèèred.

Quelle
Nr. 46 Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Otto Sutermeister, Sauerländer Verlag Aarau 1869
(nach B. Wyss Schwyzerdütsch S. 59) Schriftdeutsche Fassung nach Märchenbuch III, Avanti Verlag, (gekürtzte Fassung)





S`Einzig Töchterli

Es war einmal ein König; der hatte sieben Buben, aber keine einzige Tochter. Das kränkte ihn sehr, und immerzu zerbrach er sich den Kopf darüber, wie sich`s wohl einrichten liesse, dass ihm endlich ein Mägdlein geboren würde. Schliesslich verschwor er sich, er werde seine Söhne klaglos opfern, und sie, alle sieben, hätten zu sterben, wenn je eine Tochter unter seinem Dache das Licht der Welt erblicken sollte. Dieses schlimme Gelübde drang irgendwie auch der Königin zu Ohren, und ihr könnt euch denken, wie sie darob erschrocken ist! Als sie spürte, dass sie bald mit einem Kinde niederkam, rief sie ihre Buben zu sich und eröffnete ihnen voll Kummer, welches Los ihrer harre. Doch sterben sollten sie nicht, und sie bat sie dringend, sich einstweilen am Fusse des Schlosshügels im Gebüsch zu verstecken und zu beten: „Falls ein Prinz zur Welt kommt“, sagte sie, „wird eine rote Fahne unter meinem Fenster hangen; sollte es aber eine Prinzessin sein, so soll ein schwarzes Tuch euer Zeichen sein; eilends zu fliehen, so weit euch die Füsse tragen.“ Die Prinzen taten, wie geheissen und bald sahen sie zu ihrem Schrecken ein schwarzes Tuch im Kammerfenster hangen.
Da schlichen sie sich schweren Herzens von dannen, verließen ihre Heimat und wanderten traurig in weite Ferne, wie sie es ihrer Mutter hatten versprechen müssen.
Nach langer Wanderschaft gerieten sie hungrig und verwahrlost wie arme Handwerksburschen in ein ödes Bertal. So traurig war ihnen zumute, und so voll Sehnsucht und Trübsal gedachten sie all der Herrlichkeiten im väterlichen Schlosse, dass sie vor Jammer am liebsten gestorben wären. Und wer möchte es ihnen verübeln, da das Unglück sie so schwer heimgesucht hatte. Doch da erblickte einer am Fusse einer Felswand ein hölzernes Pförtchen und obenan einen Türklopfer. Daneben aber stand geschrieben:

An d`Thüre drümol schloh,
s`Wird nanderno ufgoh!

Sie klopften an und der Fels spaltete sich, das Törlein ging sperrangelweit auf, und die Prinzen traten ein. Sie gerieten in ein langes finsteres Gewölbe, und gerieten dabei immer tiefer in den Berg hinein. Endlich betraten sie staunend den wunderschönen heiteren Saal eines Zauberschlosses. Mitten in dem Saale aber stand ein gedeckter Tisch, an dem sich die Prinzen gar nicht sattsehen konnten, reich beladen mit köstlichen Speisen und Wein vom allerbesten. Wie nun aber die hungrigen Prinzen in grossem Verlangen die herrliche Tafel musterten und es doch nicht wagten zuzugreifen, denn schließlich waren sie Fremdlinge in diesem Palast, kam ein schneeweißer Geist; der war in diesen Palast gebannt und sprach: „Meine Herren! nur nicht so schüchtern! nur zugegriffen, denn für euch und für niemanden sonst ist diese Tafel gedeckt. Setzt euch getrost nieder und esst und trinkt, und falls ihr mir eurerseits einen Gefallen erweisen wollt, so sorgt bitte dafür, dass jenes Feuer dort drüben
im Kamin brenne bei Tag und Nacht und ja niemals verlösche; denn ließet ihr`s geschehen, es erwüchse euch und mir großes Unheil daraus.“
Daraufhin verschwand der Geist, und fortan hüteten die Prinzen das Feuer treulich zu allen Stunden. Reihum war ständig einer damit beschäftigt, die Flammen zu nähren; die andern sechs aber spielten derweil oder schliefen, assen auch und tranken oder sie taten auch gar nichts.
Doch endlich begann die Verzauberung ihnen lästig zu werden, und sie wären gerne wieder hinaus in die Welt gelangt, wo sie einstmals so kurzweilige Tage verbracht. Auch waren sie sich einig, dass all ihr Ungemach letztlich daher rührte, dass bei ihnen daheim ein Mädchen zur Welt gekommen war, und zornig reckten die Jünglinge die Fäuste und schworen allen Mädchen der Welt Rache. Wenn je eines ihnen in die Hände geraten sollte, beteuerten sie einander, so wollten sie es umbringen und sich die Hände in seinem Blute waschen.
Derweil wuchs daheim im Schloss das einzige Töchterlein zu einem gar lieblichen Kinde heran, und da vernahm es heimlicherweise von seiner Mutter, es hätten ihretwegen seinerzeit sieben Brüder von daheim fliehen müssen. Solches zu vernehmen tat dem Königskinde in tiefster Seele weh; es hatte keine ruhige Stunde mehr und weinte oftmals bitterlich um sie, besonders wenn sie schöne Prinzen aus der Nachbarschaft zu Gesicht bekam. Endlich aber beschloss sie, sie wolle ihre Brüder suchen, und wenn sie bis an`s Ende der Welt zu gehen hätte. Und Nachts um zwölf Uhr gelang es ihr heimlich aus dem Schlosse zu entweichen.
Nach langer mühevoller Wanderung geriet sie endlich auch zu jenem Felsenpförtchen, klopfte zaghaft mit dem Hämmerlein, und so gelangte das Mädchen unversehens ins Berginnere wie seinerzeit seine Brüder. In dem wunderbaren Saale aber erblickte es voll Verwunderung den herrlich gedeckten Tisch, und da es großen Hunger hatte, griff es zu, ass aber von einem jeden der sieben Teller nur wenig, damit ja niemand es merken solle. Wie es sich aber wieder zum Gehen anschicken wollte, da fand es den Ausgang nicht mehr, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu verstecken, so gut es eben ging.
Als die Prinzen erwachten und sich zum Essen niedersetzten, merkten sie bald, dass auf jedem Teller eine Kleinigkeit fehlte, und sie konnten sich`s gar nicht erklären, wie das zugegangen sein mochte. Sie rieten hin und her und beschlossen schließlich, es habe fortan stets einer den Tisch zu überwachen und zwar derjenige, welcher ohnehin das Feuer zu hüten hatte. Der aber, welcher an der Reihe war, nahm sein Geschäft sehr genau und sah den auch die schöne Prinzessin mit spitzen Mündchen und hochklopfenden Herzens sachte sich dem Tische nähern, und so lieblich war das kleine Fräulein, dass der Jüngling auch nicht einen Augenblick daran dachte, es zu töten.
Er fasste sich ein Herz, ging zu ihr hin und hub zu reden an: „Fräulein, mir tut`s gar leid, aber das und das muss ich ihnen sagen; wir sind nämlich die und die, so macht euch denn davon!“ Da fiel ihm die Prinzessin um den Hals, weinte vor Freude, gab sich zu erkennen und sagte, eben um ihre Brüder zu suchen, sei sie von zuhause weggelaufen.
Was glaubt ihr, wie der Bruder sich da verwundert hat, als er das vernahm! Er drängte das Mädchen hurtig in ein Versteck, lief dann zu den Brüdern und verkündete ihnen: „Freut euch ihr Lieben! Das Kätzchen, welches von unseren Pasteten genascht hat, habe ich erwischt, und wenn ihr einen Eid darauf schwört, dass ihr ihm nichts antun wollt, will ich euch`s zeigen!“ So haben sie denn geschworen, und gleich darauf führte er ihnen das Schwesterlein zu und sie wussten sich vor Freude kaum zu lassen.
Aber aus dem Zauberberg zu entrinnen vermochten sie nicht; denn wer je da hineingeraten war, fand den Weg niemals zurück. Von jenem Tage an aber half das Mägdlein seinen Brüdern reihum das Feuer bewachen.
Als die Prinzessin einmal mitten in der Nacht beim Feuer saß und Prügel in die Glut schob, kam plötzlich durch den Schornstein hinunter ein Drache gefahren und forderte ihre Hand. Darob erschrak es so fürchterlich, dass es augenblicklich gehorchte und ihm seine Hand entgegenstreckte worauf der Drache ihm Blut aus dem Zeigfinger sog, bis sie davon ganz schwach und elend wurde. Darauf verschwand er wieder.
Am Morgen erkannten die Brüder wie verängstigt und elend ihre Schwester aussah und sie fragten, was ihr fehle. Aber es getraute sich nicht zu erzählen, welchen bösen Besuch sie des Nachts hatte.
In der folgenden Nacht, als sie wiederum wachte, kam der Drache abermals und saugte ihr Blut aus dem Mittelfinger, bis sie schneeblass wurde und in schwerer Ohnmacht dem Tag entgegendämmerte. Die Prinzen fanden sie halbtot liegen und vernahmen nach langem Fragen, was Entsetzliches ihr wiederfahren war. Da verschworen sie sich, die Sache keinesfalls länger anstehen zu lassen und den Drachen zu töten, koste es was es wolle und hofften zuversichtlich, es werde ihnen gelingen. In der dritten Nacht, als der Drache wieder durch den Schornstein herabgefahren kam und ihre Hand forderte, da jammerte es gar elendiglich, es könne nicht mehr und er möge doch ganz herab zum Feuer kommen. Der ekle Wurm glitt wirklich hinab, kroch heran zum Feuer und wollte das unschuldige Kind am Goldfinger packen. Da sprangen die Prinzen aus ihrem Versteck herbei, fielen über den Dra-chen her und zerhackten ihn in hundert Stücke. Darnach wuschen sie sich in seinem Blute ihre Hände und hielten so treulich ihren Eid, war es doch das Blut ihrer Schwester, in das sie ihre Hände tauchten.

Sobald aber der Wurm tot war, erschien jener Geist, der von ihm in den unterirdischen Palast gebannt worden war, damit er hier das ewige Feuer hüte und sprach: „Kinder, ihr habt ein barmherziges Werk an mir getan, ihr habt mich erlöst und euch damit! Habt Dank und nehmt euch von meinen Schätzen hier, was immer euer Herz begehrt. Nehmt sie mit euch, freut euch daran und tragt ihnen Sorge!“ Und just in dem Moment, hatte das Blut des Drachens das ewige Feuer ausgelöscht. Ein bläulicher Dunst erfüllte den Zaubersaal; die Wände wichen nach allen vier Himmelsrichtungen, immer weiter und weiter; die Decke hob sich und schwebte empor, immer höher und höher, und über eine kleine Weile, da sahen die Königskinder hoch über sich die Sterne glänzen am Himmelszelt.
Rings um sie taufrischer Wald und die Morgensonne funkelte über den Bergkämmen empor. Der Tisch aber, mit seinen fürstlichen Speisen, ward vor ihren Augen immer breiter und länger; bald vermochten sie sein Ende nicht mehr zu erblicken und standen inmitten all der Herrlichkeit von Speis und Trank oben auf der schönen Welt.
Der Geist aber den sie aus der Verhexung errettet hatten, geleitete sie unsichtbar nach Hause zu ihres Vaters Schloss, heim zu ihren kummervollen Eltern, wo sie allesamt froh und glücklich miteinander hausten und lebten

Nr. 46 Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Otto Sutermeister, Sauerländer Verlag Aarau 1869
(nach B. Wyss Schwyzerdütsch S. 59)
Schriftdeutsche Fassung nach Märchenbuch III, Avanti Verlag, (gekürtzte Fassung)

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